Die Felsengruppe des Hohen Steins erstreckt sich 250 m in Nord-Süd- Richtung parallel zur Landesgrenze auf böhmischer Seite und erreicht eine relative Höhe von 60 m. Nirgendwo sonst liegt dem Betrachter das gesamte vogtländische Schwarzbachtal zu Füßen. Dass der Hohe Stein Keimzelle des Ausflugstourismus im Grenzland zwischen Vogt- und Egerland wurde, ist dem Markneukirchner „Gebirgs- und Verschönerungsverein“ zu verdanken. Er wurde am 30. Oktober 1880 gegründet. Sein erstes Objekt (und wesentlicher Anlass zur Vereinsbildung) war die touristische Erschließung des Felsenareals.
Der städtische Straßenbaumeister Eduard Mothes (1843-1916) schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Die Herren von Böhmen bewilligten unser Vorhaben. So wurde 1880 von Baumeister Neumeister eine kleine Mauer an der höchsten Spitze (774 m ü. NN) hergestellt mit einer Orientierungstafel auf einer hölzernen Plattform. Im Jahr darauf hatten böse Buben dieses Bauwerk weggerissen. Ich schlug vor, einen Quaderstein mit starker Eisenstange anzubringen, die niemand zerstören könnte. Meine Vereinsmitglieder hielten das Vorhaben für zu gewagt. Doch ich fragte Baumeister Piering: „Wilhelm, du könntest mir so einen Quaderstein, welchen du von der Ziegelei bei Bad Elster herüber geschafft hast, geben“.

Für unser Vereinsvorhaben bekam ich ihn kostenlos. Der alte Fuhrwerksbesitzer Stark (Heinrich Oertel) transportierte den Stein, Zement und das Eisenrohr ans Ziel. Als ich mit zwei kräftigen Arbeitern ankam, war alles ringsum ruhig und leer. Die um 1860 erbaute Schenke, „Budn“ genannt, war geschlossen. Als wir riefen, kam die alte Großmutter vom Wirt und sagte: „Leitle, was wollts dirts denn heit? Wir ham Feiertoog!“ (Es war Fronleichnam 1881. Da hat es bestimmt eine Prozession zur 1817 errichteten und um 1950 zerstörten Kapelle unweit des Hohen Steins gegeben. Seit 2017 steht dort ein Neubau.) „Wenn der Finanzer (Zollgrenzwächter) kimmt, werd‘s bestraft!“. Trotzdem machte sie uns ein Frühstück. Ich habe mit den zwei Arbeitern den Zement und das Eisen auf den Gipfel gebracht und etwas versteckt (wegen der Finanzer). Nun wälzten wir den 8 Zentner schweren Quaderstein den Felsen hinauf. Der Stein ist noch einmal so tief wie breit. Bei jedem Umschlagen haben wir ihn mit der Brechstange gehoben und wieder Steinbrocken untergelegt. Gegen 14 Uhr hatten wir ihn an Ort und Stelle. Wir haben ein Loch ausgegraben, setzten ihn ein und mauerten ringsum alles zu. Das Eisenstangenloch hatten wir schon am Tag zuvor in Markneukirchen gebohrt. Als ich gegen 18 Uhr über dem Zementverstreichen und Festmachen der Eisenstange war, kam der Finanzer mit seiner Braut. Er blieb zehn Schritte hinter mir stehen und sagte in barschem Ton: „Wer lässt hier arbeiten?“ Ich antwortete: „Der Gebirgsverein Markneukirchen“. Als er mich ansah, sagte er erfreut: „Das ist ja der Herr Mothes!“ Ich erwiderte: „Warten sie bitte vorne in der Gaststätte eine viertel Stunde, ich werden gleich kommen!“ Ich kannte diesen Zollbeamten. Wenn er in Markneukirchen war, habe ich öfter seine Zeche bezahlt und ihn sogar zweimal nachts bis Wernitzgrün begleitet, weil er zuviel getrunken hatte. Im Wirtshaus waren trotz Feiertag über 100 Gäste (Falls es die Budn war, müssen sie im Freien gesessen haben.) und ich habe ihm wieder mehr als nur eins spendiert. So hätte ich noch jede Menge Zement und Eisen illegal über die Grenze schaffen können. Er hätte mich bestimmt nicht angezeigt. 1882 habe ich auch die Wege zum Hohen Stein etwas hergestellt. Und einige Ruhebänke von Steinen und Rasen errichtet. 1885 setzten wir noch einen Steinsockel mit neuer Orientierungstafel auf das von mir errichtete Gipfelplateau.“ (Diese Erinnerungen von Mothes wurden im „Neikirnger Heimatbote“ Heft 2/2009 publiziert.)
1890 war noch an dem gegen Eubabrunn gerichteten Westabhange ein wildromantisches, steinernes Meer von großer Ausdehnung zu bewundern. Es war ein fesselnder Anblick, den die mit verschiedenen Moosen, Flechten, Gestrüpp und Knüppelholz üppig bewachsene, reizvolle Felsenwildnis bot. Doch um 1900 waren die unzähligen Steinblöcke fast restlos verschwunden. Der harte Quarzit war von den privaten Waldbesitzern verkauft und zu Schotter verarbeitet worden. Um das Naturdenkmal zu retten, erwarb 1905 der K. k. Bezirk (Landkreis) Graslitz den Hohen Stein samt dem 5,6 Hektar großen umliegenden Waldgrund für 20.178,80 Kronen. So ging das Wahrzeichen in öffentlichen Besitz über und wurde einer vorwiegend touristischen Nutzung zugeführt. Man fragte in Markneukirchen an, ob „zur Ermöglichung einer flotten Frequenz besondere Wünsche bestehen und ob Geneigtheit bestünde, sich an der weiteren Erschließung zu beteiligen.“ Das Gasthaus neben dem Felsen brannte zumeist durch Blitzschlag mehrfach ab und wurde immer wieder (auch mit Geld aus Markneukirchen) größer und schöner erneut aufgebaut.
Auch auf böhmischer Seite kam der Ausflugsverkehr langsam in Gang. 1912 führten die Erzgebirgsvereine Graslitz und Schönbach die Rütli-Szene aus Schillers „Wilhelm Tell“ am Hohen Stein als Freilichttheater auf. Auch Ludwig Uhlands Ballade „Des Sängers Fluch“ wurde am Felsen inszeniert. 1913 hat man den Felsen in den Erzgebirgskammweg, den ältesten markierten Wanderweg der Region, einbezogen. Er begann auf der Elbebrücke zwischen Tetschen und Bodenbach und führte mal diesseits, mal jenseits der Landesgrenze bis auf den Hainberg bei Asch. Von dort gab es einen „Verbindungskammweg“ zum Reisteig bei Blankenstein an der Saale.
Am 28. Dezember 1913 erhob der Landtagsabgeordnete, Landwirt Ignaz Sandner aus Waltersgrün (1853-1932), in einem Leserbrief im „Obervogtländischen Anzeiger“, der Markneukirchner Lokalzeitung, den Vorwurf, dass der Graslitzer Bezirksobmann (Kreistagspräsident) Anton Richard Breinl den Hohen Stein nicht um der Erhaltung willen erworben, sondern ihn der Vernichtung zugeführt habe. „Da alljährlich tausende von Fuhren Steine daselbst abgebrochen und zu Bausteinen und Schotter verwendet würden“ sei der Bestand des Felsens akut gefährdet. „Wenn diesem Treiben nicht Einhalt geboten wird, wird um das Jahr 2000 nichts mehr vom Hohen Stein übrig sein.“ Breinl wehrte sich, weil nur das Gelände von losen Steinen beräumt worden sei. Doch Sandner legte nach und es entspann sich ein wochenlanger „Zeitungskrieg“ mit gegenseitigen Unterstellungen in der vermeintlichen „Lügenpresse“.
Am 25. September 1927 ließ der Erzgebirgsverein Graslitz eine neue Orientierungstafel aus Kupfer anbringen, sie ist 2015 „verschwunden“. Das 88 Jahre alte Kupferblech war schon stark verwittert und ohnehin kaum noch lesbar. 1951-67 lag der Felsen im Niemandsland zwischen Stacheldrahtzaun und DDR-Grenze. Erst um 1970 wurde er ins Wanderwegenetz der ČSSR einbezogen.
Am 15. August 2018 (Maria Himmelfahrt) hat man auf Initiative des Erlbacher Ortsvorstehers André Worbs und mit Genehmigung des tschechischen Staatsforstbetriebes in Karlsbad eine Kopie der Orientierungstafel von 1927, die Anna Nauruschat vom Gymnasium Markneukirchen im PC erstellt und die Firma Bang-Kransysteme aus Oelsnitz in Edelstahl hergestellt hat, auf dem 133 Jahre alten Sockel angebracht. Am darauf folgenden Sonntag trafen sich ca. 230 Wanderer aus Sachsen und Böhmen, unter ihnen Markneukirchens Bürgermeister Andreas Rubner, in einer Sternwanderung auf dem Felsen, um die neue Tafel mit altem Inhalt einzuweihen. Besondere Stimmung bereitete der hervorragende tschechische Frauenchor aus Luby/Schönbach. Bleibt zu hoffen, dass keine Graffitischmierereien die Tafel verunstalten und wegen der ausschließlich deutschen Beschriftung (nach dem Vorbild von 1927) sich der Ärger tschechischer Wanderer in Grenzen hält. Bis zur Vertreibung der „Sudetendeutschen“ sollen auf einer Tafel am Hohen Stein die Worte Christian Fürchtegott Gellerts (1715-69) gestanden haben: „Meine Auge sieht, wohin es blickt, die Wunder Deiner Werke. O Gott der Macht und Herrlichkeit, Gott, Deine Güte reicht so weit, so weit die Wolken reichen.“ Es handelt sich hierbei um Sätze aus dem Kirchenlied von 1757 „Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht“, wie es noch heute im evangelischen Gesangbuch steht.

Werner Pöllmann

Quelle Markneukirchner Zeitung – 24.8.18